Freizeitgestaltung und Gesundheitsreform

Donnerstag, 6. Dezember 2007

Freizeitgestaltung und Gesundheitsreform

Ich stehe vor der ehemaligen Postfiliale und drücke kräftig auf den Klingelknopf.
Die beiden elektrischen Glasschiebetüren öffnen sich. Ich trete ein und eine nette, etwa 25jährige Blondine mit osteuropäischem Akzent empfängt mich. Ich hänge meine Jacke an die Garderobe und sage: „Kienzle, ich hatte um 17.30 Uhr einen Termin.“ „Komm gleich mit ins Behandlungszimmer, der Doktor ist gleich so weit!“ Ich folge ihr in das sehr helle Behandlungszimmer und nehme auf dem Zahnarztstuhl Platz. Sie legt mir eines dieser Zahnarzt-Lätzchen um, fährt den Stuhl in die Waagerechte und sagt: „Jetzt warst du schon 3 mal hier und ich habe mich nicht einmal vorgestellt. Ich bin die Katharina. Und du?“ „Steht doch in meiner Krankenakte.“ Ich mache eine kurze Pause, sie schaut verwirrt. „Kie, ich bin der Kie!“ antworte ich ihr, mit einem freundlichen Grinsen. „Das ist aber ein außergewöhnlicher Name!“ „Ja, meine Eltern sind Hippies und haben lange in Thailand gelebt.“ Lüge ich. Der Arzt betritt den Raum und nach kurzer Begrüßung geht es auch schon los: Wurzelbehandlung, die Dritte.
Ich schließe meine Augen, dass mich das Licht nicht blendet und spüre das ganze Edelstahlwerkzeug in meinem Mund. „Jetzt rumpelt es ein wenig!“
Was will er wohl damit sagen? Sprengt der jetzt erst mal den Weg zur Wurzel frei? Oder hat er da nen Bagger in meinem Mund? „So Herr Kienzle, mit dem Backen-Bagger graben wir jetzt mal eine Höhle zur Wurzel. Vorsicht, wenn sich die Ketten bewegen rumpelt es ein wenig!“ Nein, in meinem Mund fährt kein Backen-Bagger, was geht nur in meinem Kopf vor!? Wahrscheinlich kommt das vom Rumpeln in meinem Backenzahn. Was macht der da eigentlich? Das fühlt sich an, wie Werkzeug, dass ich aus der Kfz-Werkstatt kenne. „Katharina, geben sie mir mal den Schlagschrauber und das Brecheisen!“ „Brauchen sie auch den Gewindeschneider?“ „Nein, das wird genietet!“
Ich reiße die Augen auf. Der Arzt zieht das Instrument aus meinem Zahn und fragt: „Tat es weh? Vielleicht injizieren wir doch Etwas.“ Ich versuche zu antworten, aber „ja“ und „nein“ hören sich mit drei Watte-Röllchen zwischen Backe und Zahnfleisch, einer art Schraubzwinge am Zahn und Katharinas Speichelsauger im Rachen sowieso gleich an.

Eine Freundin meinte einmal, dass Zahnärzte dir aus Anstand fragen stellen, obwohl sie wissen, dass du nicht antworten kannst, aber die Realität sieht ganz anders aus und ich habe den perfiden Plan durchschaut: Zahnärzte haben im Allgemeinen ein psychisches Problem mit sich selbst, weil es mit dem Studium nicht geklappt hat und sie deswegen keine richtigen Ärzte sind, sondern nur Zahnärzte. Dieses armselige Dasein als Möchtegern-Arzt bringt Minderwertigkeitskomplexe, die sie nur kompensieren können, indem sie ihre Macht ausdrücken, indem sie Fragen stellen, die man nicht beantworten kann, weil man sein ganzes Erspartes in Form von Edelstahl im Mund hat.

„So, Herr Kienzle, jetzt haben wir es geschafft für heute!“ Ich denke: „Du hast den Rhetorik-Kurs an der VHS wohl belegt, Herr...“ Wieso mache ich mir eigentlich nicht mal die Mühe, mir die Namen von Menschen wenigstens solange zu merken, wie sie vor mir stehen? Ich hasse es, wenn man an jeden Satz meinen Namen anhängt. Das hört sich doch an, als unterhielte man sich mit einem Staubsaugervertreter.

Wir machen einen neuen Termin für den kommenden Dienstag und ich verlasse die alte Postfiliale. Als ich mein Auto aufschließe, höre ich Katharinas Stimme hinter mir: „ Hey Kie, wir könnten uns doch mal treffen, oder?“ „Oh, du hast mich erschreckt! Klar können wir. Nächsten Dienstag um 18.30 Uhr“ „Wirklich?“ „Ja, sicher. Ich komme ja zur Nachuntersuchung. Bis Dienstag!“ Ich steige in mein Auto und fahre nach Hause.

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